Die Quadratur der Ursuppe - zu den fotochemischen Bildern von Gudrun Emmert

Wenn man unbefangen mit den Bildern von Gudrun Emmert konfrontiert wird, fühlt man sich eher in ein Naturkunde- als ein Kunstmuseum versetzt. Erinnerungen an die Schulzeit kommen auf, an die befremdlichen Bilder von Urtieren und Einzellern, an Bilder von skurrilen Kleinstlebewesen wie Algen und Minikrebsen, Süßwasserpolypen, Strudelwürmern und Seegurken, an abstrakte Bilder von Zellteilungen und Querschnitten. Auch erinnere ich mich an erste Blicke in ein Mikroskop, wo sich in wundersamer Formenvielfalt die vergrößerten Untersuchungsobjekte im Protoplasma zuckend und pulsierend tummelten, so anziehend wie abschreckend in ihrer Fremdartigkeit.

Gudrun Emmert malt oder zeichnet, aber keine Kleinstlebewesen, größere Organismen oder Organe. Sie verstärkt unsere Lust, unser stilles Vergnügen, Unbekanntem oder Ungewohntem Bedeutung zu geben, etwas Undefinierbares auf einen Begriff zu bringen. Sie selbst nennt das „Kippen“, wenn ihre Formen uns etwas Wiedererkennbares versprechen und dieses Versprechen im gleichen Augenblick wieder zurücknehmen.

Auch wenn die lockere Anordnung der vielen Täfelchen vage an das Periodische System der Elemente erinnert und in der Formenvielfalt ein thematischer Ausgangspunkt zu vermuten ist – so wie weiland Goethe bei seinen morphologischen Studien auf der Suche nach einer Ursprungspflanze war – entspricht das weniger den künstlerischen Intentionen: Gudrun Emmerts Morphologie bezieht ihren Urimpuls aus dem Pinselduktus, welcher nicht abbildet, sondern diesen wundersamen Bilderkosmos aus sich heraus erfindet.

Denn erst einmal malt oder zeichnet Gudrun Emmert. Sie hat dabei, soweit ich mich erinnere, immer eine Affinität zu weichen Bögen und Kurven, zu wellenförmigen Linien und nierenförmigen Konturen gehabt. Perfekte Kreise oder gar Rechtecke gelangen ihr nie. Gerieten die einen immer dellig, mussten die anderen sich runden. Sie entwickelte ihre Formen aus der schieren Pinselbewegung heraus, somnambul suchend, tastend, vielleicht einem inneren Wegeplan folgend. In der Vergangenheit war es ein satt aufgetragener öliger Farbgrund, in dem der geschmeidige Pinsel seine Spuren hinterließ und dabei auch stärkere Farben in den Sog einer traumhaft wirkenden Tonigkeit verschmolz.

Die neuen Bilder sind für Kenner ihrer bisherigen Arbeit vertraut und fremd zugleich. Vertraut ist das Formenrepertoire, das wieder durch die Doppelnatur der Zeichnung fasziniert, die zugleich als Gezeichnetes und als Bezeichnendes Beachtung finden möchte und dieses Interesse selbstsicher einfordert. Fremd, weil die Bilder in Technik und Machart neuartig sind, nicht nur in der Kunst von Gudrun Emmert. Die Chemie malt hier mit – und der Zufall. Schon die Entdeckung verdankt sich einem Zufall. Es war ein Schlüsselerlebnis für die Künstlerin, eines Tages für sich aufs Neue zu entdecken, dass lichtempfindliches Fotopapier, schon für den Abfall vorgesehen und deshalb ans Licht gebracht, einen eigenartigen malerischen Entwicklungsprozess in Gang setzt. Und das ist das Alchimisten-Einmaleins: mit Silbernitrat imprägniertes Fotopapier + Entwickler + Fixierer + Licht + Zeit. Dabei sind das Bleichmittel, das eine Palette von Rot- bis Ockertönen erzaubert und wegen seiner gefährlichen Handhabung nur auf den kleinen Tafeln vorkommt, und das Wasser noch nicht erwähnt. Der Entwickler setzt sich aus Hydrochinon, Methol, Pottasche, Natriumsulfit und Bromkali zusammen. Das weiß ich von Thomas Bachler – und auch, dass der Fixierer sowohl Anteile von Natriumsulfit als auch Kaliummetabisulfit enthält, während das Bleichmittel einfach ein rotes Blutlaugensalz ist, mit der chemischen Bezeichnung Kaliumhexacyanoferrat.

Das erinnert an Apotheke, und so wirkt auch die Vitrine am Eingang der Ausstellung, wo Gudrun Emmert einmal lapidar das materielle Fundament ihrer Arbeit ausgebreitet hat. Aber wie der Künstlerin mag es auch uns genügen, dass der Entwickler für die Schwärzungen, der Fixierer für das Weiße und Helle verantwortlich ist. Dieses Schwarzweißprogramm ist ein künstlerischer Balanceakt, der – anders als in der Malerei – ein schnelles Reaktionsvermögen erfordert und ein Einfühlungsvermögen für chemische Abläufe. Denn einmal in Gang gesetzt lässt sich nichts mehr rückgängig machen, nichts korrigieren. Die Künstlerin ist für die Zeichnung für die Zeichensetzung, die Chemie für den malerischen Prozess zuständig. „Ich habe nicht mehr die volle Verantwortung wie beim Malen“, will uns Gudrun Emmert glauben machen, doch in Wirklichkeit ist auch der Zufall ein Instrument, das ihrer künstlerischen Kontrolle unterliegt, und das sie souverän einzuplanen versteht.

Am weitesten hat sich die Künstlerin in den neuesten Arbeiten vorgewagt. Indem sie sich zurückgehalten hat. Es sind feierlich schöne Bilder, wo sich in einem vorgegebenen Karree die Malerei gleichsam einer Ur-Suppe von Finsternis und Licht in immer neuen Versuchsanordnungen ihre Möglichkeiten erforscht. An diesen Tafeln kann man die verschiedenen Elemente dieser Technik in ihrer wechselnden Wirksamkeit erkennen und die technischen Maßnahmen nachvollziehen. Es ist, so wird sich herausstellen, einerseits ganz einfach, andererseits von komplexer Raffinesse und künstlerischer Ingeniosität.

Neben noblen Violett- und Beigetönen entdecken wir Purpur, Aubergine und Indigo. Diese Farbtöne hat nicht Gudrun Emmert so gewollt, sondern sie sind der Reaktion des empfindlichen Silbernitrats auf den Lichteinfall zu verdanken, und je nach Hersteller verfärbt es sich anders. Das Karre wiederum schuldet sie einer Glasplatte, die, mit Entwickler, das ist der Schwarzmacher, überstrichen, auf das Fotopapier gekippt, gelegt oder auch mal leicht fallen gelassen wird. Das hat dann erkennbare Auswirkungen, wie auch leichtes Verschieben der Glasplatte einen spezifischen Effekt erzielt. Die Glasplatte kann auch mit dem Fixierer, mit dem Weißmacher also, bestrichen werden. Man kann aber auch Entwickler und Fixierer direkt auf das Fotopapier auftragen, mehr oder weniger flüssig, mehr oder weniger feucht, und dann die Platte darauf legen oder fallen lassen oder verschieben. Wichtig ist nur, dass zuerst der Schwarzmacher und danach erst der Weißmacher zum Zuge kommen.

Schließlich kommt noch Wasser ins Spiel, zum Wegspülen der Chemie. Passt man nicht auf, hinterlässt das Überschwappen Spuren. Wie gut, dass Gudrun Emmert zurzeit ein stillgelegtes Schwimmbad als Atelier nutzen kann und auch gleich noch ein Solarium, das ihr das Weiße auf den Bildern noch weißer macht. Wie hier beim Wässern kann in jeder Phase Schnelligkeit oder Langsamkeit, Sorgfalt oder Schlendrian ein bewusst einkalkuliertes Ausdrucksmittel werden. Doch mehr als in allen anderen Bildern, die bisweilen die Zeitlosigkeit von Ikonogrammen haben, wirken diese schmissigen, tachistisch-kontaminierten Action-Bilder wie kosmische Momentaufnahmen von Lichtgeschwindigkeiten. Wie Schnappschüsse von schwarzen Löchern.

Gudrun Emmert legt ein geometrisches Geviert, nicht akkurat, aber immerhin von signifikanter Gestalt – und konterkariert damit ein amorphes Geschehen. Dieses Bemühen, Gegensätze auf unaufdringliche Weise zu versöhnen, ohne sie aufzuheben, durchzieht ihre gesamte Arbeit und kulminiert – wir kommen wieder zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen – in der Gratwanderung zwischen gegenständlich und abstrakt.

Prof. Heiner Georgsdorf (2000)

(Einführungs- und Katalogtext anlässlich der Ausstellung „Chemogramme“ in der Neuen Galerie, Staatliche Museen Kassel)


Zu den Chemogrammen

Ich male Bilder mit Ölfarbe oder mit Fotochemie. Letztere werden als CHEMOGRAMME bezeichnet. Eine gemalte Fotoarbeit oder ein fotochemisch entstandenes Gemälde – beides ist in gewissem Sinne eine richtige Erklärung für diese Technik. Im Gegensatz zu den Ölbildern entstehen hier die Farben durch Lichteinwirkung und chemische Reaktionen automatisch. Das „Motiv“ wurde gemalt, die Bildentstehung funktioniert fotografisch – ein Spagat zwischen Malerei und Fotografie. Die Ölbilder entstehen langsam, Farben und Formen werden auf die Leinwand geschichtet, bis ein Bild fertig entwickelt ist. Formen erscheinen hier als Farbträger.

Beim Chemogramm ist diese Arbeitsweise nicht möglich. Hier zählt der einmalige Versuch: Die Chemie reagiert sofort auf dem Papier und lässt die Farben in kurzer Zeit entstehen. Auf diesen „malerischen Polaroids“ tauchen wie schon auf den Ölbildern Bildelemente auf, die angenehm vertraut erscheinen, ohne konkret einen Gegenstand abzubilden.

Gudrun Emmert (2000)


Es gibt Pinsel, flache und runde

Die Breite des Pinselstrichs und damit die Wahl des Pinsels ist abhängig von der gewählten Bildgröße: soviel zu den technischen Dingen meiner Bilder.

Ich beginne ein Bild, indem die weiße Leinwand zunächst farbig übermalt wird. So schaffe ich eine Situation, mit der ich umgehen kann. Die zuerst gewählte Farbe ist als solche relativ unwichtig. Sie ist für mich ”nur” wichtig als Angebot und Grund für die nächsten Farben. Ich kann überlegen, auf welche Farbe ich Lust habe, ähnlich wie man erst beim Durchblättern eines Kochbuches Appetit bekommt. Meine Bilder entstehen schichtweise, Stimmungen, Farben und Formen überlagern sich.

Mag sein, daß mich ein beiläufiger Gegenstand, eine Kleinigkeit angeregt hat und in die neue Realität meiner Bilder hineingesetzt wird. Diese Dinge verlieren in ihrer abstrahierten Form nun aber ihre zwingende Definition. Sie können vom Betrachter für eigene Ideen verwendet werden und machen Vorschläge, sich zu erinnern. Die Wiedererkennbarkeit spielt keine Rolle, da die Form jetzt Farbträger und nicht mehr Träger eines Begriffes ist.

Der Betrachter sollte versuchen, Denken und Sehen gleichzusetzen. Es gibt keine greifbaren Formulierungen in meinen Bildern, keine konkrete Aussage. Er kann aber versuchen, sich auf das Bild einzulassen und es direkt, ohne Umweg über die rationalen Wege unseres Gehirns, anzuschauen. Dann erübrigt sich die Frage nach der Erklärbarkeit meiner Bilder, da sich für uns beide eine Bildersprache eingestellt hat, die nicht in unsere verbale Begriffswelt zu zwängen ist.

Gudrun Emmert (2004)


Blick von der Seite

Unter all den denkbaren Blicken auf ein künstlerisches Werk ist der des Kollegen ein ganz spezieller, ein eingeweihter Blick, einer von der Seite. Häufig sind es handwerkliche Fragen, mit denen man sich als Kollege kritisch auseinandersetzt.

Im Fall von Gudrun Emmert fesselt – neben dem mir sehr vertraut wirkenden Farbklang - gerade die intensive und versierte technische Bewältigung der Malerei seit jeher meine Aufmerksamkeit. Dabei ist das Auftragen der Farben, die reine Peinture, ganz unabhängig von Gegenständlichkeit oder Abstraktion. Das liegt zum großen Teil daran, daß der Prozeß an sich bei jedem Maler ein ähnlich halb bewußter ist. Malen ist ein durchgängiger, hingebungsvoller Vorgang einerseits und gleichzeitig ganz offen und aufmerksam für das gerade entstehende Ergebnis. Viel exakter beschreibt Schiller diesen Moment des künstlerischen Schaffens als eine Wechselwirkung zweier entgegengesetzter Kräfte, eines sinnlichen und eines vernünftigen Triebes, die nur im „Null-Zustand“ dieses besonderen Augenblickes zum idealen Ausgleich kommen. Den Zustand des Bilder Malens muß man sich in diesem Sinne ganz vertieft denken, weit weg von den gerade um einen herum stattfindenden Ereignissen. Auch von sich selber, zumindest von der bewußten Ebene, ist man in diesem Augenblick völlig losgelöst, etwa so selbstvergessen wie ein Kind beim Spielen. Trotzdem bestimmt am Ende der klare Wille, Form zu schaffen, das Ergebnis.

Genau das fasziniert mich beim Betrachten der Bilder von Gudrun Emmert, wie intensiv man darin eben diese beiden „Triebe“ nachvollziehen kann. Das sinnliche Element tritt sichtbar zutage, wann immer neue Farben über ältere Schichten gelegt wurden. Sie werden nie vollständig getilgt, die Spuren dieses Übermalens, das so häufig wiederholt wird, bis auf der Ebene des Formwillens ein Einverständnis erfolgt. Diese Spuren erscheinen als stehengebliebene Streifen zwischen Farbflächen, als nicht völlig abgedeckte, löcherige Flächen oder – besonders deutlich – auf der Bildseitenkante.

Man sollte sich Gudrun Emmerts Bilder wirklich rundherum anschauen. Der Farbauftrag ist breit und unbeirrt, nicht zaghaft oder gar unsicher, die Farbe wird direkt auf der Bildfläche gemischt. Daß dieser Malprozeß kein leichtfertiger, kein schnell aus dem Ärmel geschüttelter Vorgang ist, das kann man deutlich an der Zahl der Schichtungen ermessen. Manche Bilder sind tatsächlich so viel schwerer als andere, daß man erahnen kann, wie konsequent an der Vollendung eines Bildes gearbeitet wurde - selbst über lange zeitliche Distanzen hinweg. Die Mühe wird aber weder verschleiert noch quälerisch deutlich gemacht; der Malprozeß läuft, wie er eben laufen muß, dem Prinzip des Ausgleichs der beiden „Triebe“ Rechnung tragend. Die neuen Streifenbilder von 2006/2007 sind in diesem Punkt ähnlich konsequent wie die früheren Arbeiten - mit dem Unterschied, daß sie im Format kleiner und motivisch auf Querstreifen reduziert wurden. Sie bleiben aber mindestens genauso intensiv.

Mathias Weis (2007)

(Text für den Katalog Gudrun Emmert: Bildwechsel, 2015)


Blockdenken

Als Kollege bin ich verständlicherweise daran interessiert zu beobachten, wie andere Künstler ihren Beruf ausüben und als ein Freund von Gudrun Emmert habe ich bei ihr im Atelier immer wieder Gelegenheiten dazu. Natürlich stehe ich nicht daneben, wenn sie arbeitet, zumal sich unsere Arbeitszeiten nicht decken würden: Sie malt und collagiert, wenn andere schlafen gegangen sind. Nachvollziehbar ist dieser ungewöhnliche Lebensrhythmus durchaus, denn nachts steht die Welt um sie herum praktisch still und sie kann ganz bei ihrer Tätigkeit sein, ohne gestört zu werden oder auch nur Gedanken an Anderes zu verschwenden. Eine Art Tunnelsituation entsteht, in der Gudrun Emmert nur mit sich und den Bildern beschäftigt ist.

Das ist für sie von großer Bedeutung, denn sie arbeitet gerne in konzentrierten und zielorientierten Zeitblöcken. Fast immer, wenn ich im Abstand von wenigen Monaten mal wieder bei ihr vorbeischaue, gibt es nicht ein einzelnes neues Bild zu sehen, sondern gleich eine ganze Gruppe, die offenbar in rascher Folge und im Zusammenhang entstanden ist. So brachte sie einmal vor Jahren von einem Aufenthalt bei Verwandten, wo sie sich einige Wochen lang zum Arbeiten in einem alten, nicht mehr genutzten Swimmingpool austoben konnte, ein großes Konvolut an Chemogrammen (mit Fotochemikalien bearbeitetes Fotopapier) mit zurück. Ein anderes Mal traf ich bei ihr auf eine 60-teilige Gruppe von Farbstreifenbildern, die die Grundfarben Rot, Gelb, Blau behandeln und von denen ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ein einziges Exemplar gesehen hatte. Die frischen Arbeiten hängen dann zur Probe an einer freien Wand in ihrem Atelier. Auch dabei spielt das „Blockdenken“ eine Rolle, denn jedes Bild muss sich erst innerhalb der gesamten Serie bewähren, ehe es akzeptiert wird. Fällt es durch, wird es wieder übermalt. Dieses Verfahren hat freilich auch Konsequenzen für die Entstehung der Bilderserien selbst, denn das einzelne Bild darin wird ja durch die direkte Nachbarschaft eines anderen in seiner Wirkung mitgeprägt: Farben werden intensiviert oder abgeschwächt, Strukturen herausgestrichen oder gemildert – man kennt das von anderer Gelegenheit, etwa ansatzweise von der Zusammenstellung der eigenen Garderobe. Den Effekt der gegenseitigen Einflussnahme der einzelnen Bilder nutzt Gudrun Emmert und malt für die noch freien Stellen auch gezielt passende Arbeiten. Und selbst dann noch werden die Bilder immer wieder neu sortiert und kombiniert. (Die Nägel in der Wand werden einfach mal in bereits vorhandene Löcher umgesteckt, wenn eine andere Variante zum Begutachten an die Reihe kommt.) Betrete ich am nächsten Tag nach Gudruns Arbeitsnacht das Atelier, sieht die Wand plötzlich ganz anders aus als am Abend zuvor. Dieses Umhängen geht so lange weiter, bis unter den Bildern ein Rhythmus entstanden, eine Wirkung gefunden ist, die ausgewogen und zugleich spannungsreich ist. Am Ende dieses komplexen Prozesses steht ein geschlossener Block, ein großes wirkungsvoll gruppiertes Bild, ein Tableau.

Konsequenterweise entwickelte Gudrun Emmert für spätere Ausstellungen aus dieser Vorgehensweise ihre Bildbänder, durchlaufende Friese, die aus einzelnen Bildelementen bestehen, die aber je nach Gelegenheit und Raumsituation einer Ausstellung immer wieder neu zusammengesetzt und erweitert werden können. Selbst ältere, ursprünglich einmal als Einzelbilder konzipierte Bilder werden – das passende Format vorausgesetzt – darin aufgenommen und Leerstellen, Pausen in der rhythmischen Abfolge, nach Bedarf eingefügt. Das vorher im Atelier ausprobierte Ergebnis ist aber nicht bindend, Modifikationen am jeweiligen Ausstellungsort sind möglich, ja erwünscht.
Gudrun Emmert hat als praktisch denkende und organisiert vorgehende Malerin mit diesem System einen Weg gefunden, das vorhandene Bildmaterial immer wieder neu zu nutzen oder durch das Hinzufügen eines weiteren Elementes ganz anders wirken zu lassen.

Noch einen logischen Schritt weiter gehen dann die zuletzt entstandenen Collagen. Hier wird teils vorhandenes, teils gezielt hergestelltes Material wiederum zu ganz neuen Kompositionen auf einer einzigen Bildfläche zusammengestellt. Doch man sollte nun nicht denken, dass es bei dieser Ebene bliebe, denn auch diese Bilder werden wieder zu Gruppen organisiert, gegeneinander ausgespielt und untereinander rhythmisiert – ein System, das sich scheinbar endlos fortführen lässt.

Mathias Weis (2018)

(Text für den Katalog "Polyphonie" zur gleichnamigen Ausstellung im Museum St. Wendel, 2018)


Schneiden, schieben, kleben

Im Grunde ist eine Collage nichts anderes als Malerei mit Fertigbauteilen aus eigener Herstellung. Im Gegensatz zum Malen mit Pinseln und Farbe kann man aber beim Collagieren leichter ausprobieren und verwerfen, da man sich dabei der ausgeschnittenen Überbleibsel anderer Arbeiten (Chemogramme, Öl/Nessel, Öl/Folie) bedient und diese einfach hin und herschieben kann. Das erhöht den Mut zum Risiko, ich wage mich in Bereiche vor, die mit Malerei nicht mehr zu realisieren sind, unterschiedliche Oberflächenstrukturen oder auch transparente Materialien werden verwendet. Diese Mixtur aus ganz unterschiedlichen Werkstoffen ist ein Prinzip meiner Collagen.

Erst wenn das Hin- und Herschieben zu einem überzeugenden Ergebnis geführt hat, wird das Material endgültig fixiert. Nicht zuletzt dient mir die Arbeitsweise des Collagierens auch dazu, ältere Ideen zu reaktivieren, gleichzeitig neue zu entwickeln und damit das Repertoire meiner Ölbilder zu erweitern.

Gudrun Emmert (2021)